Café
Carlo Mettauer
Café Schwarzenberg, so heisst es doch, das renommierte Wienercafe, wo sich die Schickeria der Grossstadt, die Nostalgiker, die Träumer oder auch ganz gewöhnliche
Leute treffen. Dort werden Sehnsüchte lebendig.
Ich bin mit Wien nicht vertraut, daher nenne ich das Cafe anders, zum Beispiel Florian. Das Florian in Venedig. Ich fühle mich da sehr wohl; die Umgebung, die Wärme, die Andersartigkeit behagt mir, ist mir lieb. Sind es Bilder oder Erinnerungen? Das Interieur wie im Dehmel: Ausladende Lüster, Plüschsessel, Veloursvorhänge, Theken, Messinggeländer, Estraden, Bogenfenster, Mahagonitischchen, marmorisierte Säulen, livrierte Kellner und diskrete Unterhaltung hinter breitfächerigen Palmen. Sind es Kindheitsträume, Bewunderung, Abscheu? Ist es das Fremde und Vertraute zugleich, das mich hierherzieht?
Spüre ich nicht die in jedem von uns schlummernde Sehnsucht, die Nostalgie, welche mich nicht mehr loslässt, die im Kerker der Deutlichkeit alles zu blasser Nützlichkeit zusammenschrumpfen lässt?
Draussen regnet es. Unzählige Lichter spiegeln sich auf der nassen Piazza San Marco. Durch die Scheiben sieht man Menschen im Dunkel der Nacht verschwinden. Im Cafe sitzen, nachts bei Schauerwetter, gibt ein Gefühl von Geborgenheit, von Wohlbehütetsein. Die Szenerie wechselt nach draussen, man wird Zuschauer.
Leere Cafetassen, verlassene Tischehen, gezogene Vorhänge lassen Einsamkeit aufkommen. Im Gegensatz dazu Gespräche, die das Zusammenspiel vom Menschen mit seiner Umwelt ausdrücken, der Flügel, die Speisekarte, der Papagei als Symbole des Lebens, der Freude.
Geöffnete Münder unzähliger Mohren fassen die Kerzen des gewaltigen Muranokronleuchters, der mit seinem Lichtermeer das Cafe und den ganzen Raum ausfüllt. Aus den Boxen ertönt laute Musik von Duran Duran. Wenn der Kellner die Moretti-Espressomaschine bedient, steigt Dampf auf, Vapore. Mit dem Vaporetto fahre ich zurück von San Marco auf dem Canale Grande zum Parkhaus Piazzale Roma. So werden Sehnsüchte geweckt, Erinnerungen geboren, Nostalgie, Dekadenz, Spätnostalgie!