WALTER SAUTTER

Jugendjahre

Walter Sautter wurde 1911 in Zürich geboren und ist bei seinen Eltern in einem bürgerlichen Haus aufgewachsen. Mit zwei Schwestern lebte er da wohlgeborgen. Pünktlichkeit und Regelmässigkeit waren die Forderungen des Alltags. Ohne Begeisterung ging er zur Schule – sie war ihm zu einförmig. Er spielte oft wilde Spiele mit seinen Kameraden; manchmal aber
sonderte er sich ab, schloss hinter sich das Gartentor und ging in sein stilles Zimmer. Dort, an seinem Pult, begann er zu zeichnen: zuerst auf seine Schiefertafel, da entstanden Gebilde, die ihn umtrieben: Luftballone,
Dampfschiffe. Er kritzelte, wischte mit dem Finger wieder aus, sodass alles wie in einem Nebel nur noch durchschimmerte, und betrachtete es lange mit verträumten Augen. Da geschah es einmal, dass seine ordnungsliebende Schwester mit einem sauberen Schwamm seine Traumbilder auswischte. Der Bub weinte darüber und stellte sie nie
mehr her.

Später, als er im Gymnasium war, zeichnete er auf jedes Stück Papier, auf die Buchumschläge und in die Bücher hinein. Er porträtierte, karikierte seine Lehrer und Kameraden, wenn er sich in den Schulstunden langweilte.

Er war befähigt, sich leidenschaftlich zu begeistern. In frühen Jahren war es das Theater, das in seinem Elternhaus eine grosse Rolle spielte. (Sein Vater war in jungen Jahren Schauspieler, später Theater- und Kunstkritiker.)
Er lernte mit der ihm eigenen Ausdauer ganze Schiller'sche Szenen auswendig. Damals wurde jedes Jahr im Stadttheater Zürich (dem heutigen Opernhaus) Schillers «Wilhelm Tell» gespielt. Als Elfjähriger trat er dort zum ersten Mal als Walter Tell auf. Das Publikum mitreissend sang und spielte er während vier Jahren, bis er dieser Rolle stimmlich entwachsen war.

Oschwand liegt im Hügelland des Emmentals. Dort war eine Welt, scheinbar
bäuerlich, ein Garten voller Obstbäume, am Rande ein riesiger Pflanzplätz, eine Fülle bun ter Blumen. Eine grosse Familie arbeitete in dem sonnendurchglühten Garten, pflanzte, erntete. Der Herr dort war der Maler Cuno Amiet, und alles emsige Tun war eigentlich für ihn, drehte sich um ihn.

Walter war 11 Jahre alt, als er zum erstenmal auf die Oschwand kam. Es hatte sich wunderbar gefügt: Cuno Amiet war ein Vetter von Walters Mutter, die eine innige Freundschaft mit Frau Amiet verband. Schon bei seinem ersten Besuch wurde er mit grosser Herzlichkeit in die Gemeinschaft aufgenommen. Er, der bisher für sich gezeichnet und gepröbelt hatte, sah plötzlich diese Welt, in deren Mittelpunkt die Malerei stand. Amiet, eine dominierende, strahlende Persönlichkeit, vom frühen Morgen bis zum Abend mit einer Glückseligkeit an seinen Bildern malend, weckte in dem Knaben Begeisterung und Sehnsucht. Hier durfte Walter während seiner Ferienzeit zuschauen, er durfte zuhören, wenn Amiet mit Freunden und Kollegen seine Werke besprach. Walter spürte bald, dass
Cuno Amiet, trotz der Fülle der Bilder, die das grosse Atelier füllten, streng nach einem inneren Gesetz seine Farben sprühen liess. Walter durfte selbst fragen und wurde belehrt. Und er erfuhr schon als junger Mensch, dass das Bild einem Gesetz untersteht, einem Gesetz, das gegeben ist durch das Licht, das auf jedem Ding liegt. Er verarbeitete alle Erkenntnis. Vorerst unbewusst, zaghaft fing er an zu malen. Amiet wollte alles sehen, was der Anfänger machte, er besprach es ernst und streng mit ihm.

Zur Familie Amiet gehörte auch Bruno Hesse, ein Sohn des Dichters. Er war einige Jahre älter als Walter und hatte die Schulsorgen bereits hinter sich. Er war ein ruhiger, bedächtiger Jüngling, half bei den täglichen Arbeiten mit, besonders wenn die Kirschen reif waren, verschwand er oft ganze Tage lang in den hohen, fruchtbaren Bäumen und brachte reiche Ernte heim. Der ungestüme Walter fühlte sich hingezogen zu dem wortkargen
Bruno, er folgte ihm überall hin und mit ihm die Umgebung, das
üppige Benerland. (Auch Bruno Hesse entschloss sich Landschaftsmaler
zu werden.)
Mit dem Velo unternahmen sie später zu zweit weite Fahrten, sie sahen gemeinsam Landschaften, besuchten Museen und Galerien, zeichneten und skizzierten. Die Augen des jungen Walters wurden geöffnet, nicht durch
akademische Erziehung, sondern durch das aufmerksame Hinschauen und Betrachten, zu dem ihn Cuno Amiet angeleitet hatte. Oschwand war eine Welt voller Farbe und Licht, die Menschen offen und gütig, bereit zum Lachen und zu Neckereien. Das Zurückkehren in die Stadt und in die Schule war für Walter jedesmal ein hartes Umstellen und Verzichten, ein Ablenken von dem, was ihn zuinnerst freute und beschäftigte. Man fragte sich, von wem Walter denn das Talent, das ihn so früh zur Malerei hinzog, geerbt habe? Von seiner Mutter Rosa, die in ihrer Jugend - nach der damaligen Mode - wunderschön, mit Können und Sorgfalt gemalt und
gezeichnet hatte. So konnte sie den Werdegang ihres Sohnes mit sensiblem Verständnis fördern. Auch der Vater, Emil Sautter, sah mit
Stolz, dass in seinem Sohn ein Künstler heranwuchs, er hatte Vertrauen zu ihm. Aus seiner Tätigkeit als Kunstkritiker wusste er, dass der Weg zum musischen Beruf voller offener Fragen ist, und er bemühte sich, seinem Sohn eine kritische Stütze zu sein. Sein Wunsch aber war es, dass Walter zuvor das Literargymnasium mit der Matura beende. Walter tat es. Seine Berufung hatte er erkannt, Cuno Amiet hatte es ihm in jungen Jahren bestätigt: du bist ein Maler.

Gertrud Wyss